Remo MüllerMyanmarLeave a Comment

Sie sind überall: Pagoden, Tempel, Buddhas, auch irgendwo im Nichts wo niemand lebt, die Buddhas sind da. Auf jedem zweiten Hügel überragt eine goldene Pagodenspitze die Bäume. Das sieht schön aus, macht die Landschaft speziell, mystisch, aber ich frage mich, ist das sinnvoll?

Buddhawahn

imageEtwas ausserhalb von Hpa-An, ganz im Osten Myanmars, gibts eine Höhle mit Zehntausenden Buddhas drin: Sitzende Buddhas, liegende Buddhas, grosse, kleine, goldene, weisse, aus Keramik geformte, aus Holz geschnitzte und in die Felswand gemeisselte..es hört nicht auf. Nach dem Glauben der Einheimischen hat Buddha hier in einem seiner vielen Leben in Gestalt eines weissen Elefanten gelebt, darum wird er so gehuldigt. Ich frage einen Mönch, warum es hier in dieser Höhle denn so viele Buddhas hat: «Je mehr desto besser», antwortet er amüsiert. Wie auch immer, hinter diesen Buddhas stecken Hunderttausende Stunden Arbeit. Sinnvoll investierte Zeit?

Weiteres Beispiel: Etwas südlich von Mawlamyine, im Südosten des Landes, liegt der grösste liegende Buddha der Welt: Er hat acht Stockwerke, 182 Räume, ist 34 Meter hoch und sagenhafte 180 Meter lang. Zum Vergleich: der Zürcher Primetower ist gerade mal knapp 130 Meter hoch. Es war eine Vision des Mönches «Badanda U Kay Tara», der hier unglaublich verehrt wurde. Letztes Jahr ist er im Alter von 94 Jahren verstorben. Seine Leiche wacht immer noch über sein Werk, sie wurde haltbar gemacht und ist im Liegenden Buddha, im Schneidersitz sitzend, in einem Glassarg ausgestellt. 94-jährig ist hier übrigens biblisch, die Lebenserwartung des Burmesischen Mannes liegt nur gerade bei 64 Jahren. Nun, seine Idee, sein Werk, ist der grösste liegende Buddha der Welt, ist also bereits ein Rekord. Ich finde das etwas grössenwahnsinnig. Klar, der Mensch hat gerne Rekorde, will gerne den Grössten haben, da habe ich ein gewisses Verständnis. Sieht auch wirklich faszinierend aus, wenn da plötzlich ein riesen Buddha in der Landschaft liegt! Was ich aber nicht nachvollziehen kann: Auf der gegenüberliegenden Seite ist bereits der neue, grösste liegende Buddha der Welt im Bau, er wird 240 Meter lang. Das ist wie wenn man zwei Primetowers aufeinander stellen und dann ablegen würde. Die beiden Riesen können sich gegenseitig anschauen. Finanziert wird das Ganze von der Bevölkerung, die dafür spendet. Sinnvoll ausgegebenes Geld?

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Ich finde den Buddhismus sympathisch, empfinde Buddhas Ausstrahlung als irgendwie lieb, friedlich. Der Aufenthalt in Tempel erlebe ich als etwas Schönes, es fühlt sich spirituell, energieladend an. Ich weiss nicht warum, aber in einer Moschee ist mir das noch nie passiert. Im Buddhismus gibts bestimmt auch keine heiligen Schriften, in der man Steinigung interpretieren muss. Nächstenliebe sei im Buddhismus das Wichtigste, erklärt mir ein Mönch. Zu uns Reisenden sind die Buddhisten besonders lieb, sie bewundern, verehren uns zum Teil sogar. Klar wir sind für sie etwas Spezielles, exotisch. Der Hauptgrund sei aber ein anderer, erzählt mir ein Mönch bei einem Tempel in Mrauk U: Wir hätten ein gutes Leben, viel Geld und seien in einem reichen Land geboren worden. «Its not just luck!», das sei nicht einfach Glück, betont der Mönch mit gehobenem Zeigefinger. Wir seien im letzten Leben gute Menschen gewesen, das sei nun die Ernte: «You get what you give», danach lebe der Buddhist.

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Yangon

Man merkt, dass die Menschen hier versuchen gute Menschen zu sein. Mit der Hoffnung, es besser zu haben im nächsten Leben. Das gibt den Menschen Hoffnung, Halt, es hilft, auch unter erschwerten Bedingungen ein glückliches Leben zu führen. Gegen das kann man weiss Gott nichts haben. Aber ginge das, dieses Ausüben einer Religion nicht auch mit etwas weniger Prunk? Etwas weniger Grössenwahn? Auf jedem zehnten statt zweiten Hügel eine Pagode, hundert statt hunderttausende Buddhas in einer Höhle, das Gold auf den Pagoden alle fünf statt zwei Jahre restaurieren. Ich meine das natürlich symbolisch. Denn das Geld das die Regierung, die Bevölkerung für ihre Religion ausgibt, muss unermesslich sein. Auch wenn Myanmar ein reiches Land wäre, fände ich den finanziellen Stellenwert ihrer Religion etwas gar präsent. Aber Myanmar ist arm, ein Entwicklungsland.

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Goldene Pagode im Niemandsland

Als ich mit Aung im Ayeyarwady-Delta südlich von Pathein unterwegs war, – siehe Beitrag «Vier Tage mit Aung» – sind wir durch dutzende kleine Dörfer gefahren, überall stehen vergoldete Tempel und Pagoden, mit prunkvollem Interior, riesen Buddhas, bis ins kleinste Detail verzierten Säulen mit Schnitzereien. Eine Schule haben aber all diese Dörfer nicht, Kinder müssten weit weg, nur schon um die Primarschule zu besuchen. In diesen Dörfern wo es dann eine Primarschule gibt, werden Kinder bereits im Alter von neun Jahren von ihren Familien weggerissen, damit sie in stundenweit entfernten, grösseren Dörfern weiter zur Schule gehen können. Aber die meisten Familien können das gar nicht finanzieren. Kurz: In ärmeren Gebieten Myanmars ist Bildung inexistent oder auf einem sehr tiefen Niveau. In Myanmar geht nur jedes fünfte Kind länger als vier Jahre zur Schule. In ländlichen, ärmeren Gebieten sind es noch viel weniger. Aung hat mir in einem abgeschiedenen Dorf eine Schule gezeigt, die von einer Hilfsorganisation finanziert wurde. An diesem Morgen war gerade Englischunterricht. Ein Westlicher ist auf Besuch in ihrer Schule, ein Riesenhappening. Ich werde freundlichst begrüsst, der Lehrer fragt mich nach meinem Namen und meiner Nation und stellt mich dann vor der Klasse vor. Ich bin zuerst begeistert von der positiven Stimmung in der Schule und den herzigen Kindern. Dann will ich vom Lehrer noch ein paar Sachen wissen, aber ein Gespräch kommt nicht zustande. Ein Englischlehrer der kaum ein Wort Englisch spricht. Das sei das nächste Problem hier in dieser Region, meint Aung: «Schüler die es durch das ganze Schulsystem schaffen, gehen danach studieren in Yangon, oder machen sonst eine gescheite Ausbildung.» Aber zurück aufs Land kämen die dann nur als Gast wieder, um ihre Familien zu besuchen, oder verdienen zuerst viel Geld und nehmen die Familie dann gleich mit, in ein «besseres» Leben. Kurz: Es herrscht in diesen ärmeren Gebieten nicht nur akuter Schulmangel, sondern es fehlt auch an ausgebildetem Lehrpersonal.

Die andere Seite – der Grössenwahn

Es war einmal ein kleines Dorf irgendwo in der Mitte Myanmars, es heisst Kyet-Pyay. Plötzlich werden dort heimlich prunkvolle, weisse Regierungsgebäude, Pärke mit künstlich angelegten Seen, Golfplätze und Hotels gebaut. In den frühen Morgenstunden des 6. November 2005 setzen sich dann über 600 Militärlaster von der Hauptstadt Yangon in Richtung Kyet-Pyay in Bewegung – der Beginn eines historischen Umzugs. Das Dorf wurde zu Nay Pyi Taw – Königliche Stadt – unbenannt und zur neuen Hauptstadt erklärt. Grund: Yangon, die mit über fünf Millionen Einwohnern mit Abstand grösste Stadt Myanmars, sei zu exponiert. Yangon liegt am Fluss, ist daher vom Meer aus über das Delta zu gut erreichbar. Nay Pyi Taw liegt in einem Thal, umgeben und geschützt von kleineren Bergen. Die Ausdehnung der neuen Hauptstadt ist gigantisch, die ihr zugewiesene Fläche entspricht fast achtmal der Fläche Berlins! Die Strassen sind perfekt geteert, achtspurig und völlig frei, da gibts kein Verkehr. Eine absolut perfekte Infrastruktur, genau das, was sonst im ganzen Land fehlt, aber niemand nutzt sie. Kreiselinseln sind mit riesigen Lotusblumen verziert, in der Hotelzone warten prunkvollste Bauten im Las Vegas-Stil auf Gäste. Nay Pyi Taw, eine moderne Geisterstadt wartet auf Menschen, um durch eine höhere Einwohnerzahl an Relevanz zu gewinnen. Dafür ist der Regierung nichts, aber wirklich gar nichts zu schade. Die halten da eine Infrastruktur aufrecht, die niemand braucht, und gibt dafür wohl Unmengen von Geld aus. Das alles aus strategischen Gründen. Zur gleichen Zeit geht nur jedes fünfte Kind im Land länger als vier Jahre zur Schule. Das ist leider eine gar abenteuerlichen Prioritätensetzung.

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Shwe Mu Taw Pagoda, Pathein

Myanmar ist in einigen Belangen auf dem richtigen Weg. Bis 2010 war das Land eine völlig abgeschottete Militärdiktatur, es gab weder Import noch Export. Dies ist nun anders, die Grenzen sind passierbar, das Land hat sich geöffnet, befindet sich unter der Friedensnobelpreisträgerin 1991 Aung San Suu Kyi als Regierungschefin offiziell sogar im Demokratisierungsprozess. Das heisst aber nicht, dass Myanmar eine geeinte Nation ist, in der alle am selben Strick ziehen, ganz und gar nicht. Zum Verständnis ein paar interessante Fakten: Myanmar oder Burma wie das Land auch genannt wird, besteht nur aus 70% echten Burmesen. Die anderen 30% bestehen aus 134 verschiedenen Ethnien, Völker die sich entschlossen haben, als Ethnie ein Teil von Myanmar zu sein. Als Burmese will sich aber keiner wissen, meint Aung. Er selber gehört zu der drittgrössten Minderheit, der «Karen», sie machen 6% der gesamten Bevölkerung aus. Und die Karen wie auch andere grössere Ethnien halten ihre eigenen Rechte, sogar ihre eigene Armeen aufrecht, weil man laut Aung die Burmesen nicht mag, sich vernachlässigt fühlt. Kurz: Es brodelt in einem Land, das weit weg von einer vereinten Nation ist.

Eine Regierung, die militärisch-strategisch handelt, anstatt Bildung zu fördern, und ethnische Minderheiten stark benachteiligt. Man muss vielleicht sagen, dieser Hosenlupf mit der neuen Hauptstadt wurde vor der neuen Regierung, also vor Suu Kyi als Regierungschefin durchgeführt. Trotzdem, die Bevölkerung Myanmars scheint sich daran gewöhnt zu haben, sich nicht auf die Politik verlassen zu können. Und das, so habe ich den Eindruck nach vier Wochen in diesem Land, machen sie ganz gut. Ein Beispiel:

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Shwedagon Pagoda, Yangon

Obwohl nur jedes fünfte Kind länger als vier Jahre zur Schule geht, ist die Alphabetisierungsrate mit knapp 90% recht hoch. Also nur jeder zehnte kann nicht lesen und schreiben. Zum Vergleich zwei Nachbarländer: In Laos liegt die Rate bei 73%, im armen Bangladesch bei 58%. Myanmar ist sogar auf dem Niveau von China, Portugal oder der Türkei. Fazit: Die Menschen in Myanmar haben es nicht einfach, sie mussten aber genau darum lernen, für sich selber zu sorgen und für einander da zu sein. In der Schweiz muss man sich wirklich blöd anstellen, wenn man zwischen die Maschen des dicht gestrickten Sozialnetzes fällt. In Myanmar gibt es kein Sozialnetz, kein Staat der dir unter die Arme greift. Hier hilft einem die Familie, und wenn es die nicht mehr gibt, der Nachbar. In Myanmar leben jeweils mehrere Generationen unter einem Dach. Das sind teils Hunderte Jahre Erfahrungen, Weisheiten, unter einem Dach, die weitergegeben werden. In der Familie in der ich mit Aung vier Tage gewohnt habe, lebt ein alter Mann, er hat keine Kinder und seine Verwandten sind alle gestorben. Für die Familie sei es selbstverständlich gewesen, den Mann bei sich aufzunehmen, sagt mir Aung. Das ganze Dorf sei ja eigentlich eine Familie.

Gedankenspiel

Gäbe es diesen Zusammenhalt heute, wenn all diese Dorfbewohner Bildung genossen hätten und wohlhabender wären? Oder braucht es ihn dann gar nicht mehr? Diese Fragen gehen mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Menschen die wenig haben, lieber geben, teilen, wie Menschen die viel besitzen. Reichtum kann Habgier und als Folge Neid anderer begünstigen. Und wenn plötzlich einer im Dorf Geld hat, sich moderne Dinge leisten kann, will das der Nachbar doch auch. Ich sage nicht, dass es gut ist, dass diese Menschen keine Unterstützung und Schulbildung kriegen. Aber es ist zumindest der positive Effekt daraus. Ich wünsche mir, dass jedes Kind in die Schule gehen darf, die gleichen Chancen hat. Ich hoffe aber auch, dass dieser Zusammenhalt in diesen Dorfgemeinschaften noch lange so bleibt.

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