Remo MüllerEngland1 Comment

Ich dachte, dort bei Monty Python haben sie extra übertrieben gesprochen, um den Humorfaktor noch etwas zu steigern. Es ist so eine etwas überheblich wirkendes Auf und Ab der Stimme, als würde man jemanden nachäffen, oder unschön singen. Aber die sprechen hier so, ganz normal, jeden Tag. Ich gehe davon aus, auch bei ausgefallenen Aktivitäten. Es ist etwas, an das ich mich gewöhnen muss. Ich muss vielleicht sagen, ich bin zum ersten Mal auf der Britischen Insel. Klar habe ich auf Reisen schon einige Engländer kennengelernt. Im Interesse des gegenseitigen Verständnisses, halten die sich jeweils etwas zurück mit ihrem Akzent, wenn sie unter Nicht-Briten sind. Aber hier zuhause, lassen sies um so mehr raus.

imageIch habe Freude am Engländer. An der Engländerin natürlich auch sehr, aber der Einfachheit des Schreibens zuliebe, nehme ich nur eine Form. Dieses Überhebliche in der Sprache mag zwar aufs erste Hinhören etwas verwirren, ist aber überhaupt nicht so gemeint! Die sind nämlich richtig nett! Wenn ich den Engländer zum Beispiel nach dem Weg frage, oder mich in einer Stadt nach den Highlights erkundige, dann wirkt der Engländer, als hätte er sein ganzes Leben auf diesen Moment gewartet, mir diese Frage zu beantworten. Voller Motivation und mit einer schon fast etwas aufopfernder Note versucht er mir eine qualitativ hochstehende Antwort zu liefern. Man spürt richtig, wie wichtig es ihm ist, dass die Information Substanz hat. Ich meine schon fast die Angst davor zu spüren, mir nicht eine zufriedenstellende Auskunft geben zu können. Einer wollte sogar noch seine Frau anrufen, als ich ihn fragte, wo dieser Weg noch hinführt. Und diese Freundlichkeit wirkt auf mich überhaupt nicht amerikanisch gespielt, sondern schlicht echt. Logisch hats auch unfreundliche Menschen, aber die hat es überall.

Ich bin in England. Ich glaube, das hat nun auch der unaufmerksamste Leser mitbekommen. Auch der Nur-Bildli-Anschauer. Nur eine Woche bin ich hier. Ich wollte schon lange mal nach London, der grössten Stadt Europas. Und da dieses Jahr mein Reisejahr ist, passt das gut. Auch darum, weil ich nun endlich jemanden kenne hier: imageRob, ich habe ihn in Medellin, Kolumbien, in der Spanischschule kennengelernt. Er hat mich eingeladen, ihn mal in seiner Heimat besuchen zu kommen. Ich bin nicht alleine: Moser ist auch dabei. Also Tobias heisst er mit Vornamen, aber so nennt ihn inzwischen niemand mehr. Ein sehr guter Kumpel aus der Schulzeit in Bürglen.

90 Minuten fliegen, und hier sind wir, London-Gatwick-Airport. Schon früh wird uns klar, dieses London ist gross. Wir brauchten länger vom Flughafen zu Rob, wie von Zürich nach London. Ganze 40 Minuten Zugfahrt, und wir sind in London-DownTown. Und von dort ists nochmals ein kleines Projekt, um zu Rob zu gelangen. Ungünstig dabei, es ist schon Mitternacht. Das Londoner Bussystem muss man entweder kennen, oder man wird seinem Schicksal überlassen. Sprich man nimmt das Taxi.

imageGegen die 10 Millionen Menschen leben hier, also etwa gleich viele wie in Bogota. London ist nicht nur die grösste Stadt Europas, sondern auch die internationalste. Da schlenderst du zweihundert Meter durch die Gassen und hörst dutzende verschiedene Sprachen und siehst Kleidungsstiele wie sie unterschiedlicher nicht sein können: Farbige Mustergewänder, es sieht aus wie ein Afrikanischer Dschungelprovinzkönig neben in enge und extrakurze Hotpents gezwengte, offensichtlich im Selbstfindungsprozess befindende Teenie-Füdlis. Und, Zuckerwasser-Frisur-Banker neben Burkas, viele Burkas. In der Schweiz habe ich mehr Burkadiskussionen im Fernsehen gesehen, wie wirklich Menschen auf der Strasse, die sich dieses schwarze Tuch auch wirklich um Kopf und Körper schwingen. Hier in London sind sie überall. Einmal, sprach es plötzlich aus einer dieser schwarzen Hüllen heraus! Wenn es plötzlich hinter einem Stück schwarzen Stoff herausspricht, dann erschrickt der Thurgauer. Das ist er sich nicht gewöhnt. Die Schweizer kennen nur Nora Illi, die einzige Burka/Niqapträgerin die spricht, oder die wir Schweizer je gehört haben. Sehen tut man ja nicht, wie sie spricht. Das Spezielle hier in London, da kommt astreines London-Englisch heraus! Zumindest die sprachliche Integration scheint also auch mit Burka möglich. Trotzdem, und das mussten wir, ich und Tobias, uns eingestehen, etwas ungewohnt und komisch ist es schon. Nicht etwas, dass wir uns für Zürich oder Weinfelden wünschen. Und das ist alles andere als ein Plädoyer für ein Burkaverbot!! Aber jetzt nicht politisch werden…obwohl politisch ist es in London sehr interessant im Moment! Alle jungen Menschen die ich in dieser Woche kennengelernt habe, fluchen über den Brexit. Ein Typ hat mir am letzten Abend im Londoner Ausgang gesagt: «Diese alten Menschen die verantwortlich sind für den Brexit, sind alle in Zwanzig Jahren tot. Die schlussendlichen Auswirkungen werden wir, die das gar nicht wollten, ausbaden müssen.» Die politische Stimmung ist im Moment angespannt. Unsicherheiten aufgrund der erhöhten Terrorgefahr und jetzt auch noch diese Politische Veränderung.

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Sunset at Tower Bridge

Die direkte Auswirkung des Brexit auf uns als Touristen ist positiv: Unsere Reise ist 20% günstiger, der Pfund hat seit dem Brexit einen Fünftel seines Wertes eingebüsst. Allgemein bin ich überrascht wie günstig England ist. Ich hätte mir die Preise näher am Schweizer Level vorgestellt. Aber es ist alles etwa einen Drittel günstiger wie bei uns.

Big Ben, Tower Bridge, Buckingham Palace und das London Eye, also dieses Riesenrad. Alles an einem Tag abgeklappert. Und, auch wenn man alles schon hunderte Male auf Fotos gesehen hat, es ist dann eben doch faszinierend, real davor zu stehen. Dieser Big Ben und vor allem diese Tower Bridge sind einiges grösser wie ich gedacht habe. Im Hintergrund die Wolkenkratzer des Finanzquartiers. Und mitten in der Stadt, die St. Pauls Kathedrale. Ein riesiges Gotteshaus, zwischen Wolkenkratzer und Tower Bridge, im Zentrum der Weltmetropole. Faszinierend, auch die völlig verrückten Shoppingzentren, da kann das Glattzentrum einpacken. Vom vergoldeten Schachbrett für einen sechsstelligen Betrag, bis zur Kinderdrohne, mit der man in der Wohnung herumflitzen kann, alles gibts hier. Luxus und Ramsch, Dickmacher und Hightechturnschuhe. Wir sind richtig froh, haben wir keinen Platz im Rucksack.

 

Von London nach Brighton – England Riviera

Tobias geht nachhause, ich bleibe noch ein paar Tage in England, bereise die Südostküste. Eine Stunde Zugfahrt und man ist am Meer. Erster Halt, Brighton. Die Stadt am Ärmelkanal ist etwas grösser wie Genf und etwas kleiner wie Zürich.

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Brighton

Viele Leute, viel Verkehr, – die fahren übrigens links, gewöhnungsbedürftig plötzlich dieser Linksverkehr. Da willst du eine Strasse überqueren, schaust wie gewohnt nach links und merkst, dass du hier besser auch nach rechts schauen solltest, von dort kommt der Verkehr her. Und es hat viel Verkehr. Aber irgendwie mag ich diesen Betrieb. Ich höre später, dass das gar nichts ist, im Vergleich zum Wochenende. Brighton ist das beliebteste Wochenendausflugsziel der Londoner. Die kommen dann jeweils hier ans Meer um Party zu machen. Am Strand sei es dann eine Herausforderung ein Plätzchen zu finden. Tatsächlich, hier liegen Menschen am Strand! Ich dachte ja in England ist es kalt und regnerisch. Ich habe noch kein Regen gesehen, es ist etwa 26 Grad, mein Gesicht macht meinem Sternzeichen alle Ehre. Ich habe an vieles gedacht beim Packen für England, Schirm, Regenschutz, Puli… Aber Sonnencreme ist mir nicht in den Sinn gekommen. Im Unterschied mit irgend einem Strand in Italien, hier liegen die meisten Menschen nur auf den rostfarbigen Kieselsteinen und lassen danach auf ihrer weissen Haut wenigsten ein Teint erahnen. Ins Meer baden gehen aber die Wenigsten, es ist unangenehm kalt. Ich schätze es so auf 16 – 17 Grad. Ich als steinharter Oberabenteurer habe mir natürlich ein Schwumm nicht nehmen lassen. Am Strand ist ein wildes Treiben von Menschen aller Arten und Formen zu beobachten. Familien, Einzelbackbacker, Muslimgruppen die ihr Picknicktuch nach dem Essen noch rasch auf Mekka ausrichten, und viele Pupertierende verweilen hier um sich von den strengen Schulstunden zu erholen – viele davon sind Sprachstudenten, Brighton ist als Sprachschulmekka bekannt. Wer etwas Aktiveres machen möchte, der zieht sich den Pier rein. imageDa hats ein langer Steg hier in Brighton, der weit ins Meer hinaus ragt. Darauf haben diese Verrückten einen ganzen Vergnügungspark gebaut! Ein Riesenrad, eine Geisterbahn und viele weitere verrückte Bahnen auf die ich nie gehe weils mir immer schlecht wird dabei. Weiter bauten die ein Restaurant und ein Casino auf diesen Pier. Wer auch immer auf diese Idee gekommen ist, sie ist verrückt, aber irgendwie toll. Da steh ich Abends zuvorderst auf diesem Steg, seh die Sonne im Meer verschwinden, höre das Kreischen der Teenies, die sich gerade eine Fahrt auf irgend einer Chilbibahn gönnen, und rieche den süssen Duft, es könnten frische Donats sein. Vielleicht sind es aber auch die Nutella-Crepes. Es sind die Nutella-Crepes! Finde ich heraus noch während ich meiner Feinschmeckernase folge. Vor der Crepes-Bude steht gerade eine Gruppe von jungen, kopftuchtragenden Frauen, sie wirken irgendwie gut betucht, kommen wahrscheinlich aus Qatar oder so. Sie schauen dem Crepes-Mensch sehr genau auf die Finger, achten mit Habichtblick darauf, dass der Crepes-Mann auch ja genug Nutella auf die Crepes kleistert. Neben der Crepes-Bude, und ich bin immernoch mitten auf dem Pier, schabt grad ein türkischaussehender Mann das Kebabfleisch vom drehende Fleischbrocken. Die kulinarisch hochfliegende Döner-Welt hats also auch auf die Englische Insel geschafft. Ich spiele mit dem Gedanken,

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Brighton Pier

einen Kebab zu bestellen, sofort überkommt mich dabei so ein «bist du nun völlig durchgeknallt-Gefühl?» Dann frage ich mich was sind die Alternativen? Fish und Chips, Fish und Chips, und, ach ja, Fish und Chips könnte ich ja auch essen. Es ist nicht nur ein Klischee, diese Engländer, vor allem hier an der Südküste, essen viel Fish und Chips. Meistens kann man zwischen drei Fischarten auswählen, dazu gibts dann eben Chips, also PommesFrites. Dann kann man zwischen Tartarsauce oder Ketchup auswählen. Die Engländer sind keine kulinarische Höhenflieger. Kommt mir in den Sinn, sind es denn wir Schweizer? Ich meine was isst man typisch Schweizerisches zum Znacht? Einne Tonne Käse in eine Pfanne, voila. Oder dann schneidet man den Käse vor dem Schmelzen in Scheiben. Soo wahnsinnig kreativ ist das auch wieder nicht. Wie auch immer, ich bestelle nun einen Kebab, mit einem total guten Gewissen. Ich buche es unter Recherche ab, muss ja wissen wie die Kebabs hier sind. Ich mache mich schon auf die Frage «mit oder ohne Scharf?» und «mit alles?» gefasst. Vergebens. Nach kurzer Zeit drückt mir der Mann Massen an Kebabfleisch in eine viel zu kleine Baby-Brottasche gedrückt in die Hand. Kein Salat, keine Sauce, nur Fleisch, das überall runterhängt. Ein gesittetes Vertilgen ist nicht mal mit viel Kreativität möglich. Aber es passt irgendwie zu allem hier. Einfach etwas anders, verrückt auch, ich komme nicht mehr aus dem Schmunzeln heraus. Ich finde es grad sehr lässig hier zu sein. «Anders» ist einfach suuuper.

Wieder dieses Gefühl

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Seven Sisters White Cliffs, Seaford, England

Die Südküste Englands ist wild, überall hats hohe Kliffs. Es sind spektakuläre Landschaften hier. Inzwischen bin ich weitergereist, mit dem Velo von Brighton den Kliffs entlang nach Seaford geradelt. Bis zu den «Seven Sisters White Cliffs», der Wahninn! Das etwas lästige an den Kliffs, es geht rauf und runter und rauf und runter. Vorbei an Windmühlen, unendlichen Schafweiden, jeder Aufstieg wird mit einem Ausblick belohnt, das gibts gar nicht. Und, es ist heiss, immer wieder kühle ich mich im Meer etwas ab. Das hier in England!! Schon auf dem verrückten Pier in Brighton ist diese Reisefreude wieder aufgekommen. Es ist so ein Kribbeln im Bauch, wie verliebt, einfach anders. So ein aufgeregtes Gefühl, eine Entdeckungslust. Ich bin inzwischen in Hastings, ein typisch englisches Fischerstädtchen. Hier muss man kreativ sein, wenn man eine Fish und Chips-Bude eröffnen will, denn alle möglichen Restaurantnamen sind bereits vergeben: «The smiling fish», «Fishermans», «Happy Fish», «The fishers home»… wäre noch weit zu führen diese Liste. Hastings liegt sozusagen in einem bis zum Meer ragenden Tal zwischen hohen Kliffs. Die steilste Schienenseilbahn Grossbritaniens bringt einem nach oben. Ich laufe am Kliff entlang, rechts die Weiten des Meeres, der Abgrund der Klippe, natürlich abgesperrt durch einen Hag. Und links, stechend gründe Wiesen, kleine Seen, Wälder. Wiedermal bin ich voll geflasht. Es ist etwas vom Schönsten was ich je gesehen habe. Ich bin wieder tief drin, im Reisefieber.

Darum breche ich bald wieder auf, in die Ferne: Thailand, Myanmar, und vielleicht noch weiter nach Laos, Kambodscha, Malaysia und Indonesien. Am 15. September gehts los. Habs ja gesagt, dieser Blog findet seine Fortsetzung. Hier ist sie, und ich freue mich wie ein kleines Kind darauf.

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One Comment on “Bei den Briten”

  1. Super, das Du wieder unterwegs bist. Ich war letztes Jahr in Myanmar. Nimm genügend neue, ja neu
    Dollarnoten mit zu wechseln. Die wechseln fast keine gebrachten USD Noten. War echt mühsam.
    Viel Spass wünscht dir.
    Silvio, Hostal Capurgana, Capurgana, Kolumbien.

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